Spurensuche

Auf der Suche nach der Neuendorfer Kirchturmspitze führten wir Gespräche mit alten und jungen Dorfbewohner*innen, stöberten in Archiven und begaben uns im Kirchenraum und im Ort auf die Suche nach Bruchstücken der Geschichte.

Uns interessiert besonders das Verbleiben der physischen Objekte, welches uns vielleicht mehr über die Umstände der Kirchturmkürzung verraten kann.
Was ist mit den Ziegelsteinen passiert? Wie hängen Straßenbau und Kirche zusammen?

Ein erster Anhaltspunkt war die Dorfchronik aus dem Domarchiv. In ihr wird von einer Zeitkapsel in Form einer Flasche berichtet. Sie soll sich in der Turmmauer befinden.

Am 24.10.2022 trafen sich Ortsbewohner*innen, Kirchliche und Interessierte auf der Suche nach der verschwundenen Kirchtumspitze Neuendorf. Reinhard Dase konnte sich noch gut an das Jahr 1975 erinnern, als er in der jungen Gemeinde aktiv war:

1975. Damals: Da hatten wir die (Flasche) gesucht und gefunden. Der Inhalt wurde ergänzt und dann wieder mit eingefügt.Wir haben das damals in der jungen Gemeinde gesucht. Das war für uns aufregend zu klopfen und zu suchen. … das sind ja jetzt fast 50 Jahre. Damals waren wir 15. Da am Fenster rechts, da müsste man mal klopfen. Auf dem ersten Podest. Aber es war damals aufregend für uns. Mit Hammer und Meißel haben wir geklopft und geguckt, dass wir nicht alles durchlöchern

Reinhard Dase über eine Zeitkapsel.

Die Schilderungen des Zeitzeugen Reinhard Dase waren so genau, dass sich die Gruppe auf die Suche nach der Zeitkapsel machte.

In der Flasche befinden sich eine Zeitung und Geld aus dem Jahr 1975 sowie Zeugnisse aus dem Jahr der Kirchturmkürzung, 1938.

Im Gespräch konnte sich Frau Wagner noch erinnern, wie das Dach des Kirchturms vor ihrer Schmiede lag:

Der obere Teil der Spitze hat bei uns vor der Schmiede gelegen. 1938. „Was ist das?“  hab ich gefragt „Das ist von der Kirche.“ hat mein Vater dann gesagt. Und ein paar Tage später, da sagt er „Also das die das nicht endlich weg holen… Ich hab gesgt, das macht ich nicht. Solln  die dass weg nehmen und solln die das verarbeiten.“ Und nach ein paar Tagen war das dann weg. Erst das Kreuz. Das war ein schwarzes. Ein älteres. War die Spitze aus Kupferblech? Nein. Verzinkt. Hatte so dicke schwarze Näthe. Ich weiß nicht, ob das Teer war. War ja damals erst grad so fünf Jahre.

Frau Wagner über die Turmspitze.

Interssant war auch die Rolle des damalige Pfarrers und Superintendent, Walter Hillebrand. Dieser hatte noch bis 10. August 1938 Aufenthaltsverbot für den Regierungsbezirk Fürstenwalde. Gegen ihn lief ein Strafprozess, da er als Anhänger der Bekennenden Kirche dem Regime ein Dorn im Auge war. Die Bekennende Kirche kritisierte die Einmischung der Nationalsozialisten in die Angelegenheit der Kirche.
Auszüge aus der Personalakte geben Zeugnis von der angespannte Situation in Fürstenwalde. In wie fern sich die Kritik Hillebrands am Nationalsozialismus nur auf die Belange der Kirche bezog oder ob sie auch weiter ging bleibt noch zu erforschen.

Wie ein Briefverkehr aus den Jahren 1937 und 1938 zeigt, ging die Kürzung nicht ohne Konflikte von statten. In ihm melden sich Hillebrand (in Vertretung für den Gemeindekirchenrat), das Luftkreiskommando und das Kirchenbauamt zu Wort.
Hillebrand versucht zu Beginn noch gegen die Kürzung zu argumentieren. Er führt hierbei die Ästhetik des Turms sowie die Qualität der Baumaterialien an. Nach der Kürzung wird kritisiert, dass das neue Dach mangelhaft sei und das Luftkreiskommando die Zeitkapsel, die sich in der Wetterkugel befand ohne Beisein von Mitgliedern des Gemeindekirchenrates geöffnet hatte.
Außerdem wird in den Dokumenten das heute noch im Dorf diffus vorhandene Wissen untermauert, dass es eine Verbindung zwischen Kirchturmkürzung und der befestigten Straße gibt. Großen Konflikt gab es nämlich auch um den Turm-Schutt, der eigentlich zur Ausbesserung der Straße dienen sollte, aber abtransportiert wurde.

Die Turmurkunde, die bei Fertigstellung des Turms in die Spitze eingefasst wurde, beschreibt die politischen und zeitgeschichtlichen Umstände des Baus:

„Der Kirchenbau ist in das für die preußische Geschichte so wichtige und ruhmreiche Jahr 1866 nach Christo gefallen. Im Sommer diesen Jahres hat Preußen mit Östereich und einigen anderen mit demselben verbündeten Deutschen Staaten einen für Preußens Macht und Deutschlands Einigung und Kräftigung wichtigen, siegreichen Krieg geführt, dem in diesen Tagen ein für Preußen ehrenvoller Friede gefolgt ist. Das blutige Werk dieses Kriegens sowie das friedliche Werk des Kirchenbaus sind unter der Herrschaft des Königs Willhelm I. von Preußen vollbracht worden. Die Ernte diesen Sommer ist namentlich Roggen für Neuendorf eine sehr kärgliche gewesen, da der Frost im Monat Mai dem Saat großen Schaden zugefügt hat. Dagegen hat die Gemeinde heute große Ursache, Gott zu danken, der sie bisher vor der Verheerung durch die asiatische Cholera bewahrt hat, die in der Nähe und in der Ferne so viele Opfer dahinrafft. Zum Krieg in diesem Sommer sind aus unserer Gemeinde 14 junge Leute einberufen gewesen; sie sind, Gott lob! -alle am Leben geblieben; 1 ist leicht verwundet worden.“.